Im Blogbeitrag „Frau Doktor?!“ berichtete ich darüber, dass wir nur von sehr wenigen altägyptischen Ärzten nähere Informationen über ihr Leben haben. Eine Ausnahme von dieser Regel (und auch noch eine sehr schillernde) ist der Arzt Udjahorresnet, der uns zeigt, wie man als altägyptischer Arzt tatsächlich zu Weltruhm gelangen konnte.
Udjahorresnet lebte im 6. Jahrhundert v. Chr. in Sais, einer Stadt im westlichen Nildelta, die das Kultzentrum der Göttin Neith war. Sais war die Hauptstadt der sogenannten „Saiten-Dynastie“, also der 26. Dynastie, deren Könige eben aus diesem Ort kamen. Dort wurde im Tempel eine naophore Statue* von Udjahorresnet gefunden, die eine autobiographische Inschrift trägt und uns von einem bewegten Leben berichtet:
Naophor des Udjahorresnet
Vatikanische Museen, Cat. 22690
Basalt
Höhe 58 cm; Breite 12,5 cm; Tiefe 27,5 cm
* „Naophor“ bedeutet, dass die Statue der dargestellten Person einen kleinen Schrein (Naos) in den Händen hält, in der sich eine Götterstatue befindet.
Unter den beiden letzten Königen der 26. Dynastie, Amasis und Psammetich III. war Udjahorresnet Befehlshaber der ägyptischen Flotte, also ein ranghoher militärischer Führer, der daneben noch zahlreiche, damals übliche Höflichkeitstitel hatte, so wie der „Königssiegler“ oder der „einzige Freund des Königs“ (und es gab viele "einzige Freunde" des Königs). Der erste König der 27. Dynastie, Kambyses, machte ihn nun zum „Großen der Ärzte“ und gab ihm einen Verwaltungsposten im Palast. So weit, so gut; wäre da nicht der Umstand, dass der dynastische Wechsel dadurch zustande kam, dass die Perser Ägypten überfielen und sich Untertan machten! Mit diesem Wissen ist es beachtlich, dass ein hoher Beamter der alten Regierung auch dem neuen Herrscher an exponierter Stelle diente. Wohlwollend formuliert spricht das dafür, dass Udjahorresnet ausreichend flexibel in seiner Loyalität war; man könnte ihn auch, wie das einige Ägyptologen tun, als ersten bekannten Kollaborateur der Geschichte bezeichnen.
Sein Ansehen unter den ersten Perserherrschern ging so weit, dass Udjahorresnet wohl großen Einfluss auf tagespolitische Entscheidungen nehmen konnte. Seine Biographie berichtet davon, dass er Kambyses dazu bewegen konnte, die im Neith-Tempel siedelnden, immigrierten Perser zu entfernen und ihre Behausungen abreißen zu lassen, um den Tempelkult wieder einzusetzen. Scheinbar folgte er auch Kambyses an den persischen Königshof außerhalb Ägyptens und war dort wahrscheinlich als Leibarzt des Königs tätig. Dies deckt sich mit Berichten des Herodot, der von einem ägyptischen Arzt und Ratgeber der Perser erzählt. Darius, Kambyses‘ Nachfolger, erlaubte Udjahorresnet schließlich, nach Sais zurückzukehren, um das „Haus des Lebens“ wieder aufzubauen. Das Haus des Lebens scheint zum einen eine Art Bibliothek gewesen zu sein, die an Tempel angeschlossen war. Zum anderen gibt es starke Hinweise darauf, dass dort auch ein Teil der ärztlichen Ausbildung angesiedelt war, nicht zuletzt durch die Inschrift Udjahorresnets, der sagt:
„Ich gab ihre Schüler hinein, die Söhne (hochgestellter) Männer sind, kein Geringer war unter ihnen. Ich unterstellte sie gelehrten Männern, die ihnen ihre Kunst beibrachten. […] Seine Majestät tat dieses, da er den Stellenwert dieser Kunst kannte, die die Kranken wieder lebendig macht.“
Diese Inschrift bezeugt, dass die Ausbildung der Ärzte zumindest zu manchen Zeiten im Alten Ägypten gewissermaßen "institutionalisiert" war, also nicht jeder nach Belieben der Heilkunst nachgehen konnte. Weiterhin entsteht der Eindruck, dass der Zugang zum Haus des Lebens auf die "höhere" Gesellschaft beschränkt war; sicherlich hat das auch etwas damit zu tun, dass Lesen und Schreiben für Ärzte unabdinglich gewesen sein dürfte.
Dass Udjahorresnet für die Perserkönige Großes leistete wird dadurch bestätigt, dass 177 Jahre später, zur Zeit der zweiten Perserherrschaft in Ägypten, ein Priester in Memphis davon berichtet, dass er Statuen Udjahorresnets, „dem Großen der Ärzte“, wieder restaurierte und vor dem Verfall bewahrte. Für eine x-beliebige Person wäre das so spät nach dessen Lebzeit sicher nicht gemacht worden! Burkard geht in seinem unten angegeben Beitrag davon aus, dass sich Udjahorresnet vor allem als Leibarzt diese Position verschafft haben dürfte und weniger aufgrund seiner politischen Fähigkeiten. Denn, so schlussfolgert er, sei es hinlänglich bekannt, dass sich Kollaborateure auf Dauer der Wertschätzung von keiner Seite sicher sein können...
Mit diesem Artikel verabschiede ich mich in die Sommerferien und wünsche allen Lesern einen schönen August! Den nächsten Blogbeitrag gibt es am Montag, den 6.9.21. Zum Wochenende gibt es passend zu den Sommerferien von mir noch einen Podcast zum Thema "Reisen im Alten Ägypten"; hört doch mal rein!
Literatur
- Günter Burkard, Medizin und Politik - Altägyptische Heilkunst am persischen Königshof, in: SAK 21 (1995), 35-57.
- Joachim Stephan, Überlegungen zur Ausbildung der Ärzte im Alten Ägypten, in: SAK 24 (1997), 301-312.
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