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Sarah

Schütz deinen Kopf!

Wir haben uns mittlerweile schon ein umfangreiches Bild darüber verschafft, was für eine thematische Vielfalt die altägyptische Medizin zu bieten hat. Für mich persönlich sticht unter allen Themen jedoch eines besonders hervor: Das Schädel-Hirn-Trauma. Das mag verwunderlich klingen, wenn man allerdings 5 Jahre zu diesem Thema naturwissenschaftliche Forschung betreibt und eine Doktorarbeit dazu verfasst, kann man wahrscheinlich gar nicht anders darüber denken 😉


Als Schädel-Hirn-Trauma wird eine Vielzahl von Verletzungen des Gehirns bezeichnet, von leichten Gehirnerschütterungen über Hirnprellungen bis hin zu schweren Quetschungen des Gewebes, die häufig auch mit Hirnblutungen und Schädelbrüchen verbunden sind. In Deutschland werden pro Jahr ungefähr 270.000 Personen notfallmäßig mit Schädel-Hirn-Traumata in ein Krankenhaus eingewiesen und etwa 6.000 Menschen sterben jährlich daran. Im Alter zwischen 15 und 24 machen Schädel-Hirn-Verletzungen sogar rund 12 % der Todesfälle aus. Die Menschen, die schwere und mittelschwere Traumata überleben, haben häufig mit einer fast endlosen Liste an dauerhaften Beeinträchtigungen zu kämpfen. Kein Trauma ist wie das andere, und vor allem die Lokalisation des Schadens im Gehirn ist entscheidend für den weiteren Verlauf der Krankheit. Die meisten Patienten erleiden Traumata bei Sport- oder Verkehrsunfällen, aber auch und vor allem kriegerische Auseinandersetzungen sind schon seit Jahrtausenden naturgemäß ein Risikofaktor. Im Alten Ägypten stellte man die Dominanz des Pharaos beispielsweise auf äußeren Tempelmauern dar, wenn er „die Feinde erschlägt“, sie also bei den Haaren packt und eine Keule auf ihren Kopf schlägt. Auch Arbeitsunfälle auf großen Baustellen dürften eine Gefahrenquelle für Schädel-Hirn-Verletzungen gewesen sein.





Das "Erschlagen der Feinde", Außenwand der Hypostylhalle des Karnaktempels, Sethos I.

Quelle:

Bilddatenbank der Philosophischen Fakultät, Universität Würzburg.





Neben dem großen, hier schon häufig erwähnten Papyrus Ebers gibt es natürlich weitere medizinische Texte. Weniger bekannt, für das Thema Schädel-Hirn-Trauma aber sehr bedeutsam, ist der Papyrus Smith, der manchmal auch als "Wundenbuch" bezeichnet wird. Man vermutet, dass der Text eigentlich schon in der Zeit des Alten Reiches aufgeschrieben wurde, also etwa um 2300 v. Chr. Erhalten ist heute allerdings nur noch eine Abschrift des Textes, die aus der Zeit um 1500 v. Chr. stammt. Bei dem Papyrus handelt es sich gewissermaßen um eine Sammlung an Fallbeispielen, von denen die ersten 10 Fälle ausschließlich den Kopfverletzungen gewidmet sind. Der Fall 8 ist hier besonders interessant:

Ein Mann mit einem Splitterbruch unter der Haut seines Kopfes […] sein Auge ist verdreht infolgedessen, an der Seite von ihn, die mit jener Schlagverletzung versehen ist. Er geht lahm an seiner Sohle an der Seite der Schlagverletzung. Er gibt Blut aus seinen Nasenlöchern und seinen Ohren. Eine Krankheit, die man nicht behandeln kann.

Mit dem Splitterbruch ist eine Kopfverletzung gemeint, bei der der Schädelknochen zwar angebrochen ist, die Haut die Verletzung allerdings komplett bedeckt und „Risse“ im Knochen nur durch die Haut zu fühlen sind. Solche Verletzungen können, je nachdem, an welcher Stelle sie sich befinden, dazu führen, dass die Augenbewegungen nicht mehr ausgeführt werden können oder der Patient motorische Ausfälle in den Beinen hat und daher hinkt. Verbunden mit einem Schädelbasisbruch können auch Blutungen aus Ohren und Nase auftreten. Da die Ausfälle auf der Seite der Schlagverletzung auftreten kann man davon ausgehen, dass die Ägypter hier eine „Contrecoup“-Schädigung beschrieben haben: Da die motorischen Bahnen sich im Gehirn kreuzen, also die linke Hirnhälfte die rechte Körperseite steuert, kann eine Schlagverletzung links eigentlich nicht auch links motorische Ausfälle hervorrufen. Da ein Schlag jedoch dazu führt, dass das Gehirn sich im Schädel zur anderen Seite bewegt, entstehen auch dort teilweise schwere Schädigungen, die man als Contrecoup bezeichnet.


All das können die Ägypter kaum gewusst haben, sahen sie das Gehirn doch offensichtlich nicht als sonderlich wichtiges Organ an – bei der Mumifizierung entfernten sie es und schenkten ihm keine weitere Beachtung. Die Fallbeispiele des Papyrus Smith sind jedoch durchweg gut beobachtet und bieten detaillierte Beschreibungen der unterschiedlichen Verletzungsarten. Mit den therapeutischen Mitteln, die den Ägyptern zur Verfügung standen, konnten allerdings ohnehin nur die wenigsten oberflächlichen Verletzungen annähernd behandelt werden. Obwohl wir also im Gegensatz zu den Ägyptern heute so viel mehr Informationen über die zentrale Wichtigkeit unseres Gehirns besitzen, können wir in vielen Fällen trotzdem kaum mehr Behandlungsmöglichkeiten beitragen. „Eine Krankheit, die man nicht behandeln kann“ ist heute also teilweise immer noch die traurige Realität. Umso wichtiger nehmen wir heute die Prophylaxe: Die Vermeidung von Kopfverletzungen, vor allem von wiederholten Gehirnerschütterungen im Sport, ist das A und O! „Schütz deinen Kopf“ – von dieser Weisheit hätten auch die Ägypter schon profitieren können.


Mehr Infos zu dem Thema Gehirnerschütterungen und Schädel-Hirn-Trauma findet Ihr bei www.schuetzdeinenkopf.de und bei der ZNS Hannelore Kohl Stiftung.


Manchmal muss auch ein kleines Päuschen sein – Medizin am Montag verabschiedet sich bis zum 1.11. in eine kleine Herbstauszeit. Bis dahin – bleibt gesund und munter!



Literatur

J. Stephan, Die altägyptische Medizin und ihre Spuren in der abendländischen Medizingeschichte, Berlin 2011.


Titelbild

Sitzstatue Ramses II. mit der "blauen Krone", Museo Egizio di Torino, Inv.Nr. 1380.

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