Ein Artikel über Schlafmohn und Opium in medizinischen und pharmakologischen Fachbüchern beginnt meistens in dieser Art: „Schon die Ägypter kannten und verwendeten Opium.“ Opium ist der Milchsaft, der aus unreifen Schlafmohnpflanzen gewonnen wird, und die Grundlage für eine der wertvollsten medizinischen Arzneistoffe bildet: dem Morphin. Morphin und seine Abkömmlinge sind auch heute aus der Schmerztherapie nicht mehr wegzudenken und tatsächlich wissen wir, dass die griechischen Ärzte die schmerzstillende Wirkung kannten. Was jedoch die ägyptischen Ärzte betrifft, so tappen wir etwas im Dunkeln.
Ein Rezept des Papyrus Ebers wurde zum Anlass genommen, Mohnsamen zu identifizieren; es handelt sich dabei um dieses:
„Heilmittel für das Beseitigen von übermäßigem Geschrei, das bedeutet, ein [Klein-]Kind, das dauernd beim Schreien ist: schepenen von schepen-Pflanze. Werde gemacht zu einer Masse, werde durchgepresst, werde getrunken an vier Tagen. Hört sofort auf.“
Ob es sich bei der schepen-Pflanze wirklich um Mohn handelt? Die Annahme ist begründet, noch 1927 schrieb der Toxikologe Louis Lewin, dass es in Europa weit verbreitet sei, Kinder mit Mohnsamen „ruhig zu stellen“. Schlafmohn trägt natürlich auch aus gutem Grund seinen Namen, neben der schmerzstillenden Wirkung schläft es sich wohl wirklich gut damit...(Der Hauptbestandteil, Morphin, erhielt seinen Namen übrigens in Anlehnung an den griechischen Gott des Schlafes, Morpheus.)
Für die Ptolemäerzeit steht fest, dass Schlafmohn in Ägypten angebaut und exportiert wurde; die Qualität des in Theben angebauten Mohn war wohl so hochwertig, dass einer der Inhaltsstoffe des Opiums, das Thebain, noch in den 1830ern nach diesem Ort benannt wurde. Ansonsten ist der Schlafmohn in Ägypten nicht ursprünglich heimisch und es ist nicht sicher geklärt, wann und auf welchem Weg Schlafmohn oder Opium ihren Weg nach Ägypten gefunden haben. Eine Hypothese besteht jedoch darin, dass Opium aus Zypern nach Ägypten exportiert wurde, etwa zur Zeit der 18. Dynastie, also um 1500 v.Chr. Der Handel mit Zypern generell ist zu dieser Zeit belegt, da zypriotische Töpferwaren in Ägypten gefunden wurden. Eine bestimmte Art Gefäß (das „base-ring-juglet“), das einer Mohnkapsel ähneln soll, wurde hierbei immer wieder mit dem Opium-Import in Verbindung gebracht. Chemische Analysen konnten jedoch nur in einem Fall bestätigen, dass tatsächlich Opium in einem solchen Gefäß transportiert wurde. Leider stammt das Gefäß nicht unmittelbar aus einer Grabung, sondern wurde im Antikenhandel erworben, sodass die genaue Herkunft unklar bleibt.
Zypriotischer "Base-ring juglet", Typ I
Martin-von-Wagner-Museum, Würzburg
Inv.Nr. A.39
Kommen wir zurück zur schepen-Pflanze: In den medizinischen Papyri finden sich außer der innerlichen Anwendung bei Kindergeschrei noch drei weitere, allerdings nur äußerliche Anwendungen für diese Pflanze. Scheinbar konnten damit, als Puder verwendet, entzündete Wunden versorgt werden. Entzündungshemmend wirken Opium und seine Inhaltsstoffe aber so gut wie gar nicht, daher ist es verwunderlich, dass zumindest in den Papyri Ebers und Smith die viel offensichtlicheren Wirkweisen des Opiums nicht ausgenutzt wurden. Neben der Schmerzhemmung wirkt es hustenstillend und hemmend auf die Darmtätigkeit, hätte also bei Durchfallerkrankungen verwendet werden können. Dass die schmerzstillende Wirkung bei innerlicher Anwendung komplett unerwähnt blieb, deutet stark darauf hin, dass die Zuordnung von schepen zu Schlafmohn zumindest fragwürdig ist. Wenn der Opium-Import jedoch ohnehin erst in der 18. Dynastie einsetzte, kann in den früher entstandenen medizinischen Papyri seine Verwendung auch kaum belegt sein. Damit wissen wir nur leider immer noch nicht, was ägyptische Kleinkinder so hervorragend zum Einschlafen brachte...
Literatur
- Renate Germer, Handbuch der altägyptischen Heilpflanzen, Wiesbaden 2008.
- Klaus Koschel, Opium Alkaloids in a Cypriote Base Ring I Vessel (Bilbil) of the Middle Bronze Age from Egypt, Ägypten und Levante 6, 1996, pp. 159-166.
Titelbild
- Papaver somniferum, Schlafmohn
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