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Sarah

Milch einer Frau, die einen Knaben geboren hat


Manchmal erscheint uns die Medizin der alten Ägypter doch etwas merkwürdig! Mit magischen Praktiken zur Behandlung diverser Krankheiten mögen wir uns ja noch anfreunden, aber was ist mit solchen Rezepturen?


„Heilmittel für die nssk-Krankheit: Erde, die am Nagel eines Mannes ist, werde daran gegeben, so dass die Krankheit sofort aufhört“
„Heilmittel für das Beseitigen einer Verstopfung des Magens: Brot aus Christusdorn, Kot eines Katers, süßes Bier, Wein“
„Heilmittel für das Beseitigen von Blut auf den Augen: Emmermehl, Milch einer Frau, die einen Knaben geboren hat; werde nachts dem Tau ausgesetzt, viermal am Tag die Augen damit waschen“

Damit nicht genug, wir finden Fledermausblut, Gebärmutter einer Katze, Pavianhaar, Fliegenkot und Urin einer Jungfrau. Was uns angewidert zurücklassen mag, ist durch die Geschichte der Pharmakologie so weit verbreitet, dass es einen eigenen Namen erhalten hat: Es handelt sich um die sogenannte „Dreckapotheke“.


Das Wort führt uns bereits in die richtige Richtung: Meist handelt es sich dabei um Substanzen, die uns abstoßend erscheinen, etwa Ausscheidungen, Sekrete oder ganze Körperteile von Mensch und Tier. Die Grenze ist hier teilweise schwierig zu ziehen: „Sekret aus Talgdrüsen des Schafes“ als Grundlage für eine Salbe klingt unglaublich widerlich, ist aber unter der Bezeichnung „Wollwachs“ eine heutzutage absolut gängige Rezeptursubstanz in der Pharmazie. Ebenso stören wir uns in ägyptischen Rezepturen kaum an „Fett eines Rindes“ oder „Fett einer Gans“.


Exkremente hingegen erwecken definitiv Abscheu. Auf keinen Fall aber war die Dreckapotheke nur in Ägypten verbreitet. Wenn man Konzepte wie die „Eigenharnbehandlung“ hinzuzählt, erfreute sich die Dreckapotheke bis in die moderne Zeit hinein großer Beliebtheit, auf jeden Fall aber war sie bis in das 18. Jahrhundert hinein gängiger Bestandteil der Arzneimitteltherapie.

Was hat es nun damit auf sich? Und wie kommt man auf die Idee, diese „Animalia“, also Arzneien aus Tier und Mensch, zu verwenden?


Ich hatte im Blogbeitrag „Bad Hair Day“ schon die Signaturenlehre erwähnt: schwarze Katze hilft gegen das Ergrauen von schwarzen Haaren, gepulverter menschlicher Schädel hilft gegen Kopfschmerzen, zerstoßene Tierknochen helfen bei Knochenbrüchen. Dies dürfte eine Überlegung der Dreckapotheke gewesen sein. Eine weitere können wir uns aus unserem eigenen Verhalten vielleicht zusammenreimen: Etwas, das „exotisch“, selten, oder vielleicht sogar einen Hauch Grusel verbreitet, zieht uns an. Je rätselhafter oder vielleicht sogar tabuisiert etwas erscheint, umso mehr interessieren wir uns dafür. In der Arzneimitteltherapie können wir das sogar mit Studien belegen: Eine rote Flüssigkeit zur Injektion wirkt besser als eine weiße Tablette; selbst, wenn es sich in beiden Fällen um ein wirkstoffloses Placebo-Arzneimittel handelt. Möglicherweise waren auch die Ägypter empfänglich für solche „psychologischen Tricks“?


Es wurden auch rationale Überlegungen zur Dreckapotheke angestellt, vor allem unter dem Aspekt, dass auch heute noch hochwirksame Arzneimittel aus Tieren hergestellt werden, beispielsweise Heparin zur Thromboseprophylaxe aus Schwein: Manche tierischen Bestandteile enthalten wirksame Substanzen und können daher auch einen therapeutischen Effekt bewirken. Man denke auch an Lebertran; damit traktierte Kinder würden sicherlich heute noch beschwören, dass es sich um „Dreck“ handelt, der zufällig Vitamin D enthält…


Ob die Dreckapotheke der Ägypter also wirklich auf Empirik beruhte? Teilweise mag das sicherlich sogar zutreffen; Muttermilch werden heute noch heilsame Wirkungen zugeschrieben, und auch hier gibt es Studien, die zeigen, dass ein Beträufeln der Augen des Neugeborenen mit Muttermilch Infektionen verhindern kann. Aber was ist mit „Kot eines Katers“?


Es wurden in der Vergangenheit Vermutungen geäußert, dass es sich bei den Bezeichnungen der Dreckapotheke um „Codewörter“ oder „Decknamen“ handeln könnte. Damit würde die Placebo-Theorie bedient: Ein Arzneimittel wirkt attraktiv für den Patienten, wenn es ungewöhnlich erscheint, und zudem wehrt es den Dämon ab, der für die Krankheit verantwortlich sein mag, wenn es möglichst widerwärtig klingt. Joachim Quack hat dies in einem Aufsatz anhand von Weihrauch-Kügelchen und „Kot“ belegt (Literatur im Anhang): Der Krankheitsdämon sollte mit dem Essen von Kot vertrieben werden, in Wirklichkeit wird jedoch das Essen von Weihrauch beschrieben. Für das erwähnte „Pavianhaar“ ist der Befund ähnlich eindeutig: Hierbei könnte es sich um Dill handeln, der wirklich „haarig“ aussieht.



Katze im Dill (Easter egg zu Nikolaus)








Bis die Decknamen-Theorie jedoch umfassend belegt werden kann, müssen wir uns damit begnügen, dass die Ägypter ähnlich schmerzfrei waren, wie der neuzeitliche Mitteleuropäer. Wer heilt, hat zumindest aus der Patientenperspektive halt doch recht, egal, mit welchem Mittel…


Literatur

- J.F. Quack, Methoden und Möglichkeiten der Erforschung der Medizin im Alten Ägypten, in: Med Hist J 38 (2003), 3-15.

- H. Ausbüttel et al, Animalia. Historische Arzneimittel aus Mensch und Tier, Eschborn 2016.

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