In der Mitte des 18. Jahrhunderts (n.Chr.!) geschah in Deutschland etwas bis dahin Unerhörtes: Eine Frau, Dorothea Erxleben, wurde an der Universität Halle zur Ärztin promoviert und damit zum Heilberuf offiziell zugelassen. Natürlich waren wir damit mal wieder etwas spät dran; gut 4000 Jahre zu spät, um genau zu sein. Allerdings gestaltet sich die Spurensuche nach der „ersten Ärztin der Geschichte“ etwas knifflig.
Populär wurde die Frage nach Ärztinnen im Alten Ägypten in den 1930er Jahren. Seinerzeit veröffentlichte Kate Campbell Hurd-Mead das Buch „A History of Women in Medicine“ und schrieb darin, dass eine gewisse Merit-Ptah in der 5. Dynastie (oder 2730 v.Chr.) unter der Königin Neferirkare Chefärztin gewesen sein solle. Leider stimmt an diesem Statement gar nichts. Zum damaligen Zeitpunkt wurde die ägyptische Geschichte tatsächlich anders datiert, heute würden wir die 5.Dynastie am Ende des 3. Jahrtausends einordnen, allerdings war Neferirkare ein König und keine Königin. Bedauerlicherweise lässt sich auch keine Merit-Ptah auffinden, die zu dieser Zeit Ärztin gewesen sein könnte. Trotz fehlender Belege erfreute sich die Darstellung Hurd-Meads lange großer Beliebtheit, da dies ein weiterer Beweis dafür zu sein schien, wie fortschrittlich die Ägypter in Fragen der Gleichberechtigung waren. Auch ohne Ärztinnen müsste diese Theorie jedoch gar nicht widerlegt werden: Frauen waren im Alten Ägypten tatsächlich in vielen Punkten den Männern ebenbürtig, sei es ihr Recht, Besitz zu erwerben und zu veräußern oder Zeuginnen und Anklägerinnen vor Gericht zu sein, oder ihre Fähigkeit, bestimmte Ämter und Berufe zu ergreifen, darunter durchaus mächtige politische Positionen.
Nun gibt es jedoch tatsächlich einen Beleg dafür, dass Frauen um 2400 v.Chr. wirklich Ärztinnen sein konnten: In dem Mastaba-Grab des Achethotep in der Nekropole von Giza wurde bei den Ausgrabungen 1929/1930 eine Scheintür gefunden, die wahrscheinlich die Eltern des Grabinhabers zeigt. Achethotep selbst war ein hoher Beamter und Schreiber an verschiedenen Einsatzorten, sowie Vorsteher der Schreiber der Cheops-Pyramide, sein Vater, Kanefer, trägt den Titel „Königsvertrauter“. Interessant ist nun die Mutter des Achethotep, Peseschet. Ihre Titel nehmen den mit Abstand größten Raum der Scheintür ein: Sie ist Königsvertraute, Vorsteherin der Ka-Priester der Königsmutter (leider ist unklar, um welche Königsmutter es sich handelt), sowie Vorsteherin der Ärztinnen.
Scheintür der Peseschet und des Kanefer aus dem Grab des Achethotep (G 8942)
aus: Selim Hassan, Excavations at Giza 1929-1930 (Oxford 1932).
Wir müssen einige Punkte bei diesem Titel bedenken: Zunächst muss Peseschet selbst nicht zwingend Ärztin gewesen sein, nur weil sie Vorsteherin der Ärztinnen war; als Ärztin wird sie nicht expressis verbis bezeichnet. Zudem wurde Peseschet über einen langen Zeitraum als Vorsteherin der Ärzte bezeichnet: Die weibliche Form in ihrem Titel (swnw.t statt swnw) wurde in den Übersetzungen unterschlagen und in manchen Veröffentlichungen wird sie nach wie vor (und nicht korrekt) als Ärzte-Vorsteherin bezeichnet. Auch wenn Peseschet also selbst nicht Ärztin war, so hat es doch auf jeden Fall solche gegeben.
Ob Ärztinnen andere Aufgabengebiete hatten als ihre männlichen Kollegen lässt sich leider nicht nachvollziehen. Aus rein praktischen Überlegungen und Erfahrungswerten aus anderen Kulturen lässt sich mit einiger Berechtigung annehmen, dass Ärztinnen in der Geburtshilfe tätig gewesen sein könnten. Ein Wort für Hebamme oder Geburtshelferin gibt es nur in Zusammenhang mit der Göttin Heket, deren Beiname „die, die gebären lässt“ lautet. In wenigen Darstellungen einer Geburt sind jedoch stets Frauen abgebildet, die der Gebärenden helfen. Ob es sich dabei um swnw.t handelte?
Auch wenn nur wenig über Ärztinnen im Alten Ägypten bekannt ist, ist es doch plausibel anzunehmen, dass Frauen die Heilkunde ausübten. Dass es keine weitere namentliche Nennung von Ärztinnen gibt, muss dieser Annahme nicht entgegenstehen: Auch männliche Kollegen sind nur in seltenen Fällen bekannt geworden. Leider müssen wir uns auch bei diesem Thema mit einer wohl recht großen Überlieferungslücke abfinden.
Literatur
- Paul Ghalioungi, Les plus anciennes femmes-médecins de l'Histoire, BIFAO 75 (1975), pp. 159-164.
- Wolfram Grajetzki, Meritptah: The world's first female doctor?, Ancient Egypt Magazine 111 (2018), pp. 24-31.
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