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Ein offenes Ohr


Stele des Ramessumerysutech. 19. Dynastie, Neues Reich.

© Metropolitan Museum of Art New York. Inv.-Nr. 59.99.1.


Ohrenstelen


Die Objektgruppe für dieses Woche sind die sogenannten Ohrenstelen. Sie sind seit der 18. Dynastie (ca. 1550-1292 v. Chr.) bis in die Spätzeit (ca. 664-332 v. Chr.) belegt.

Wie der Name schon sagt, sind auf den meist aus Kalkstein bestehenden Stelen ein oder mehrere Ohren abgebildet. Die Anzahl variiert von Stele zu Stele. Vereinzelt tauchen auch Augen auf.

Besonders viele Funde stammen aus dem Arbeiterdorf Deir el-Medine. Das Dorf wurde von Amenophis I. gegründet und beherbergte die Menschen, die im nahegelegenden Tal der Könige arbeiteten. Neben Deir el-Medine wurden auch in der Hauptstadt Memphis viele Ohrenstelen gefunden. Diese waren meist dem Ortsgott Ptah gewidmet. Die Stelen aus Deir el-Medine waren, im Vergleich zu denen aus Memphis, kunstvoller gearbeitet. Auch die Varianz der angesprochenen Gottheiten war in dem Arbeiterdorf deutlich größer. Die Ohrenstelen wurden entweder in Auftrag gegeben oder teilweise vorgefertigt gekauft. Der Besitzer ließ sie anschließend durch das Hinzufügen seines Namens personalisieren.


Bedeutung der Ohren


Hier stoßen wir schon auf ein Problem, denn so einfach lässt sich die Bedeutung der Ohren nicht klären.

Einen ersten Versuch unternahm Wilkenson, der die Ohrenstelen als Stiftung zum Dank für ein geheiltes Ohrenleiden sah. Die Deutung können wir aber schnell beiseiteschieben. Auf keiner der Ohrenstelen wird eine Ohrenkrankheit erwähnt.

Die allgemeine Meinung sieht die Ohren als ein Symbol dafür, dass die angesprochene Gottheit die vorgetragenen Bitten und Wünsche erhört.

Die Anzahl der Ohren scheint willkürlich gewählt. Die Theorie, dass eine hohe Anzahl an Ohren auch ein größeres Hörpotenzial des Gottes bedeutet, können wir nicht annehmen. Es existieren nämlich Stelen von ein und dem selben Besitzer mit einer unterscheidlichen Anzahl an Ohren. Jetzt könnte man natürlich dagegenhalten, dass die verschiedenen Bitten eine unterschiedliche Wichtigkeit besaßen. Hier muss ich euch auch wieder enttäuschen, denn auf den Stelen werden keine konkreten Bitten genannt.

Oder hatten die Ohren überhaupt keine Bedeutung und waren nur ein Schmuckelement der Stelen? Möglich ist das sicherlich auch, aber ich bin anderer Meinung. Wieso sonst sollten ägyptische Quellen, wie Gebete, Hymnen oder Lebenslehren, die Wichtigkeit der Ohren betonen?

[...] Jedermann wendet sich an dich, um dich anzuflehen. Deine Ohren stehen offen, sie zu hören und ihre Wünsche zu erfüllen. [...]

Assmann, Ägyptische Hymnen und Gebete. Freiburg/Göttingen 1999, S. 433.


Die Ohren auf den Stelen konnten entweder Löcher aufweisen oder keine zeigen. Ein kleiner Fakt zwischendurch: Erst in der 18. Dynastie kamen Ohrlocher und somit Ohrringe in Mode.


Ohrenstele des Handwerkers Bay. 20. Dynastie, Neues Reich.

© Ägyptisches Museum Kairo. Inv.-Nr. JE43566.

Ohrenstele des Usersatet. Neues Reich.

© Museo Egizio Turin. Inv.-Nr. 1546.


Persönliche Frömmigkeit


Ein Begriff, der in Zusammenhang mit den Ohrenstelen immer wieder auftaucht, ist die "Persönliche Frömmigkeit". Unser Freund, der griechische Autor Herodot, meinte, die Ägypter seien "die Frömmsten aller Völker." Nun, so weit wollen wir nicht gehen, aber die alten Ägypter hatten sicherlich eine enge Beziehung zu ihren Göttern.

Manche Wissenschaftler bezweifeln jedoch, das ein Zusammenhang zwischen den Ohrenstelen und der Persönlichen Frömmigkeit besteht. Auch die, die einen sehen, sind sich über den Begriff der "Persönlichen Frömmigkeit" nicht einig. Das Lexikon der Ägyptologie, DAS Nachschlagewerk in unserem Fach, gibt sich sehr allgemein. Dort ist es die religiöse Halunt der Menschen und der Ausdruck ihrer Religiösität z.B. durch Gebete. Generell sehen die Wissenschaftler die Persönliche Frömmigkeit als eine persönliche Hinwendung und Beziehung zwischen dem Menschen und einer Gottheit. In dieser Hnsicht können wir doch eine Verbindung zwischen den Ohrenstelen und der Persönlichen Frömmigkeit ziehen.


Von oben links nach unten rechts:

Stele des Penbuy. 19. Dynastie, Neues Reich. © British Museum London. Inv.-Nr. EA1466.

Stele der Taweret. Ramessiden Zeit. © British Museum London. Inv.-Nr. EA25296.

Stele des Mehuia. Ramessiden Zeit. © British Museum London. Inv.-Nr. EA 1471.

Stele des Ptahhesu. Neues Reich. © Ägyptisches Museum und Papyrussammlung der Staatlichen Museen zu Berlin. Inv.-Nr. ÄM19788.


Wie so vieles in der Ägyptologie, ist auch die Bedeutung der Ohrenstelen noch nicht befriedigend geklärt. Es ist doch aber beruhigend, wenn es jemanden gibt, der immer ein offenes Ohr hat, oder nicht?


P.S. Wie auch Sarah und ihrem Medizin am Montag, verabschiede ich mich mit diesem Beitrag in die Sommerferien. Genießt die Sonne und bis bald!


Zum Nachlesen

  • Assmann, Jan: Gottesbeherzigung „Persönliche Frömmigkeit als religiöse Strömung der Ramessidenzeit. Heidelberg 2014.

  • Ausec, Cindy Lee: Gods who hear prayers. Popular piety or kingship in three Theban monuments of New Kingdom Egypt. Kalifornien 2010.

  • Guglielmi, W.: Zur Bedeutung von Symbolen der Persönlichen Frömmigkeit. Die verschiedenfarbigen Ohren und das Ka-Zeichen. In: Zeitschrift für Ägyptische Sprache und Altertumskunde 118. Berlin 1991, S. 116-127.

  • Morgan, Enka-Elvira: Ägyptische Ohrenstelen Fragen und Antworten. In: Studien zur Altägyptischen Kultur 39. 2010, S. 271-280.

  • Teeter, Emily: Religion and ritual in ancient Egypt. Cambridge 2011, S. 104-118.

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