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Sarah

Egypt's Anatomy

Aktualisiert: 3. Okt. 2021

Jeder Mediziner heutzutage kann ein Lied davon singen: Ohne Anatomie und Kenntnisse über den Aufbau des Körpers gäbe es keine moderne Medizin! Wir wüssten nichts über das Entstehen von Krankheiten und folgerichtig auch nichts darüber, wie wir sie behandeln können. Also werden Medizinstudenten mindestens ein halbes Jahr lang mit lateinisch-griechischen Fachbegriffen für jede denkbare Körperstruktur und deren Lokalisation traktiert, bis sie am Ende des Tages im Schlaf aufgesagt werden können. Dieses Vorgehen hat sich (so sehr es im Studium verflucht wird) bewährt, da der Arzt ja tatsächlich nur „im Trüben fischen“ würde, wenn ihm der exakte Aufbau eines Körpers nicht klar wäre.


Wir haben bereits gesehen, dass die ägyptischen Ärzte im Behandeln von Krankheiten teilweise wirklich ins Schwarze getroffen haben und ihre Patienten von manchen Gebrechen heilen konnten. In diesem Zusammenhang hört man gelegentlich (auch von Ägyptologen), dass die Ägypter so gute Ärzte hervorbrachten, weil sie durch den Vorgang der Mumifizierung und der damit verbundenen Organentnahme so viel über Anatomie und den menschlichen Körper wussten. Doch ist das wirklich so?


Obwohl sich die Mumifizierung im Laufe der ägyptischen Geschichte in ihren Details wandelte, blieb die Grundform jedoch lange erhalten: Lunge, Leber, Magen und Darm wurden entnommen und in separaten Gefäßen, den Kanopen, bestattet. Das Herz blieb manchmal an Ort und Stelle, manchmal wurde es auch entnommen, separat mumifiziert und wieder zurück in den Körper gegeben. Von Mumien-Untersuchungen wissen wir, dass die ägyptischen Balsamierer einen etwa 6,5 cm langen Einschnitt an der linken Seite des Bauches vorgenommen haben, um in Anschluss die Organe entfernen zu können. Schon hier besteht ein großer Unterschied zu später durchgeführten, „echten“ anatomischen Untersuchungen (die frühestens zur Zeit der Ptolemäer, also ab 300 v. Chr. begannen): Die Balsamierer arbeiteten gewissermaßen „blind“, sie sahen nicht, was sie da taten, vielmehr erspürten sie die Strukturen und entfernten sie dann. Dass die Nieren deshalb in den meisten Fällen nicht entfernt wurden lag sicherlich daran, dass sie eher Richtung Rücken zu finden sind und sich die Balsamierer ihrer Anwesenheit nicht bewusst waren.


Neben diesen Überlegungen lohnt es sich, einen Blick auf die medizinischen Texte zu werfen. Hieraus lernen wir beispielsweise, dass den Ägyptern entgangen war, dass es eine Luft- UND eine Speiseröhre gibt – nur eine „Halsröhre“ wird erwähnt. Besonders kurios erscheint uns heute auch das Bild der „mt-Gefäße“. Wohl angeknüpft an Flussarme, die das gesamte Land umspannen, herrschte die Idee vor, dass der gesamte Körper durchzogen wäre von diesen „Kanälen“ (mt bedeutet auch „Kanal“). So weit mag das auf Blutgefäße tatsächlich zutreffen, wobei die Bedeutung des Blutes als „Nährstoff“ den Ägyptern wohl nicht klar war. Allerdings transportierten diese Gefäße in der ägyptischen Vorstellung jede Körperflüssigkeit, von Wasser über Urin, Exkrementen und Samenflüssigkeit. Das zeigt, dass eine genauere Unterscheidung der Organstrukturen nicht vorhanden war und das Verlaufen von „Leitungsbahnen“ im Körper unklar blieb.


„Man hat wohl mit Recht gesagt, dass die Wissenschaft als solche erst von den Griechen in die Menschheit gebracht worden sei. Zum wenigsten das Erstaunen über eine neue Erscheinung, das Fragen und das Bemühen um eine befriedigende Antwort. Und solches Fragen, solches Aufmerken und Aufhorchen hat offenbar dem Ägypter fern gelegen, das hatte er noch nicht gelernt. […] Er war nicht neugierig genug, um wirklich wissenschaftlich fragen und denken zu können.“

Das schrieb Hermann Grapow 1954 im „Grundriss der Medizin der Alten Ägypter“, einem wirklich grundlegenden Werk der Medizingeschichte. Er begründete damit das fehlende tiefgehende anatomische Wissen, wo doch in so großer Zahl und Regelmäßigkeit Körper geöffnet und Eingeweide entfernt wurden. Doch den Ägyptern das Fehlen von wissenschaftlichem, strukturierten Denken vorzuwerfen, geht sicherlich zu weit. Viel wahrscheinlicher könnte sein, dass es, wie in späteren Zeiten und Kulturen auch, ein Tabu, wenn nicht gar ein Verbot war, den menschlichen Körper zu öffnen und allzu genau nachzuschauen, was sich hinter der „göttlichen“ Schöpfung verbirgt. Die Mumifizierung wird hier eine Ausnahme gewesen sein, da es sich ihrerseits um einen religiös-kultischen Akt gehandelt hat. Dazu passt, dass uns keine einzige Darstellung überliefert ist, die den "chirurgischen" Teil der Mumifizierung zeigt (und ich daher Schwierigkeiten hatte, den heutigen Beitrag zu bebildern). Auch die medizinischen Papyri kommen vollständig ohne Abbildungen aus; die Stärke des Ägypters lag offenbar in der schriftlichen Erklärung.


Lediglich von der Anatomie von Tieren scheint ein klareres Bild geherrscht zu haben; es gibt einige Hieroglyphen, die tierische Organe recht korrekt abbilden. Allerdings hätte die Annahme wohl nicht in das ägyptische (und auch sonst in kein) Weltbild gepasst, das zwischen Tieren und Menschen (anatomisch) kein sehr großer Unterschied besteht...


Diese Überlegungen zu den doch mangelhaften anatomischen Kenntnissen sollen keinesfalls die Leistungen der ägyptischen Ärzte schmälern, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihr Bestes gaben; der heutige Medizinstudent sollte daraus allerdings auch nicht schlussfolgern, dass es auch ohne Anatomie gehen könnte. 😉



Literatur

- B. Brier, R.S. Wade, "Surgical procedures during ancient Egyptian Mummification" in ZÄS 126 (1999), pp. 89-97.

- H. Grapow, Grundriss der Medizin der Alten Ägypter I. Anatomie und Physiologie, Berlin, 1954.



Titelbild

Relief mit medizinischen Instrumenten im Tempel von Kom Ombo,

Urheber: Olaf Tausch, 11.3.2011, https://creativecommons.org/licenses/by/3.0

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