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Sarah

„Digitales Auswickeln“ – der Segen der modernen Naturwissenschaft

Das Jahr 2021 endete mit einer ägyptologischen Meldung, die es sogar in große deutsche Medien schaffte: Die Mumie Amenhoteps I, die seit gut 140 Jahren in Kairos Ägyptischen Museen (erst in Boulaq, dann am Tahrir Platz und seit kurzem im GEM) lag, wurde einer CT-Untersuchung unterzogen.


So trivial das zunächst klingen mag, moderne medizinische Untersuchungen an ägyptischen Mumien sind ein wirklicher Glücksgriff aus mehreren Gründen:

Zur Zeit der Entdeckungen der meisten Mumien, das heißt Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, konnte es den Grabungsleitern und Museumsdirektoren kaum schnell genug gehen: Mumien mussten aus ihren Binden ausgewickelt und untersucht werden! Man hoffte, unter den Binden verborgene Amulette zu finden, das Auswickeln von Mumien war außerdem ein gesellschaftliches Ereignis, zu dem die „High Society“ eingeladen wurde (verbunden mit einem Hauch Grusel), und man wollte den 3000 Jahre alten Königen „ins Gesicht blicken“ können. Mindestens aus konservatorischer (und auch ethischer) Sicht war dieses Unterfangen meist eine Katastrophe: Manchen Mumien, so wie der Tutanchamuns, wurden dabei Gliedmaßen abgetrennt, weil die Masken und Binden zu sehr mit dem Körper verbunden waren, der Erhaltungszustand wurde dabei stark verschlechtert, und der tatsächliche Erkenntnisgewinn war minimal bis nicht-existent.


Amenhotep I. entging diesem Schicksal: Gaston Maspero, der zweite Direktor der ägyptischen Antikenverwaltung in den 1880er Jahren, fand die mit Blumengirlanden geschmückte Mumie „so hübsch“, dass er „Skrupel“ hatte, sie auszuwickeln.





Mumie Amenhoteps I., aus Saleem, Hawass 2021 (s. Literatur).











In der Vergangenheit wurden zwei Versuche unternommen, durch Röntgenaufnahmen zumindest das Alter des Königs abschätzen zu können, aufgrund der eher mäßigen Aufnahmequalität wurde er zunächst auf 40-50 Jahre, später auf 25 Jahre geschätzt, eine Spanne, die mehr als unbefriedigend ist und für die es auch keine Untersuchung gebraucht hätte.


In den letzten Jahren erlebte die moderne medizinische Bildgebung eine konsequente Verbesserung ihrer Verfahren: Immer genauer sind Körperstrukturen ohne invasive Techniken darstellbar, und im Fall von Mumien sind nicht einmal Strahlenbelastungen einer CT-Aufnahme relevant, wie man sie bei lebenden Menschen in Betracht ziehen muss. Die nicht-invasive Untersuchung von Mumien erfreut sich also in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit und fördert tatsächlich hoch interessante Befunde zutage, ohne dass den Mumien auch nur ein Haar gekrümmt werden müsste.

Diese bildgebenden Verfahren können Erkenntnisse über verschiedene Aspekte geben: Das Alter der Person ist aufgrund der Skelettstruktur zumindest grob abschätzbar, der Zustand von Gebiss und Knochen wird deutlich, wir lernen Details über die Durchführung der Mumifizierung, aber wir können sogar erfahren, an welchen körperlichen Gebrechen der Mensch zu Lebzeiten gelitten haben könnte. Um unsere Neugier schließlich vollends zu befriedigen, können wir mittlerweile sogar die Gesichtszüge der alten Ägypter aus dem Knochenbau am Computer rekonstruieren, womit wir tatsächlich eine „Beziehung“ zu der Mumie, die ja schließlich auch mal Mensch war, aufbauen können.


Die naturwissenschaftlichen Methoden erschöpfen sich nicht in einer reinen „Durchleuchtung“ der antiken Körper: Wir sind in der Lage, den Inhalt alter Keramikgefäße zu analysieren und stellen auf diese Art fest, welche Substanzen die Ägypter in ihren Wein mischten, mit welchen Düften die kosmetischen Salben versetzt waren, und wie sich die Balsamierungssubstanzen zusammensetzten, mit denen die Mumien konserviert wurden. Durch die klimatischen Bedingungen lassen sich sogar DNS-Fragmente gewinnen, wodurch bei vor allem königlichen Mumien ein Stammbaum erstellt werden kann; gewissermaßen ein Vaterschaftstest mit 3000 Jahren Verzögerung!


Was also konnte uns die Mumie Amenhoteps (oder vielleicht doch eher der Computertomograph) erzählen?


Die untersuchende Radiologin gibt das Alter Amenhoteps I. mit etwa 35 Jahren an; diese Angabe basierte auf dem Zustand der Gelenkenden der langen Röhrenknochen, den Epiphysen. Er war 1,61 m groß und sein Gebiss war für einen Ägypter seiner Zeit in einem sehr guten Zustand (wir erinnern uns an den Blogbeitrag zur Zahngesundheit). Eine Todesursache konnte durch die CT-Aufnahme nicht ausgemacht werden, wohl aber lieferte sie das hoch interessante Detail, dass das linke Ohrläppchen des Königs durchstochen wurde und er somit in der Lage gewesen wäre, einen Ohrring zu tragen.

Die Mumie Amenhoteps wurde in der Deir el-Bahari-Cachette gefunden, er gehörte also zu den Königen, die in der 21. Dynastie, knapp 500 Jahre nach seinem Tod, durch Verwaltungsbeamte und Priester umgebettet wurden. Es wird vermutet, dass dies ein Schutz vor Grabräubern sein sollte, die auf der Suche nach Schmuck und Amuletten auch nicht davor zurückschreckten, die Mumien zu zerstören. So erging es wohl auch Amenhotep, der einige (postmortal) gebrochene Wirbel und Rippen aufwies und dem zwei Finger der linken Hand fehlten, die jedoch in der Bauchhöhle steckten…


Für moderne Naturwissenschaftler bietet also sogar die Ägyptologie ein etwas unerwartetes Betätigungsfeld, das in den kommenden Jahren unser Verständnis von den Lebensumständen der Ägypter wenn nicht gerade "revolutionieren", aber mindestens doch vervollständigen kann.



Titelbild

Amenhotep I, Cat. Nr. 1371, Museo Egizio Torino (Bilddatenbank der Philosophischen Fakultät, Universität Würzburg).


Literatur

- Saleem SN and Hawass Z (2021) Digital Unwrapping of the Mummy of King Amenhotep I (1525–1504 BC) Using CT. Front. Med. 8:778498. https://doi.org/10.3389/fmed.2021.778498

- R. Drenkhahn, R. Germer, Mumie und Computer - ein multidisziplinäres Forschungsprojekt in Hannover, Hannover 1991.

- S. Zakrzewski, A. Shortland, J. Rowland, Science in the Study of Ancient Egypt, New York 2016.

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