Im Jahr 2021 einen Beitrag über „Seuchen“ zu schreiben, ringt wahrscheinlich den meisten Lesern nur ein müdes Lächeln ab. Nachdem im letzten Jahr bereits Sachbücher über die Spanische Grippe und „Die Pest“ von Albert Camus ein unerwartetes Revival erlebten, bin ich möglicherweise etwas spät dran, um jemanden mit diesem Thema „abzuholen“. Dennoch bietet das Thema einige spannende Aspekte und sogar die Möglichkeit, die aktuellen verheerenden Überschwemmungen in Deutschland mit einfließen zu lassen.
„Seuche“ ist eigentlich ein Wort, dass in unserem Sprachgebrauch nicht mehr vorkommt. Wir verwenden die Begriffe Epidemie oder, auf einer größeren Skala, Pandemie. Seuche klingt nach Pest im Mittelalter, oder nach biblischer Plage, die (wenig überraschend) in Ägypten aufgetreten sein soll, als der Pharao Moses und seine Hebräer nicht gehen lassen wollte. Das Wort, das die Alten Ägypter verwendeten, war jad.t, was nicht nur Seuche, sondern auch generell Unheil, Plage, Elend oder Katastrophe bedeuten kann. In früheren Übersetzungen wurde gerne das Wort „Pest“ verwendet, jedoch ist das wohl eine zu starke Eingrenzung auf das entsprechende Krankheitsbild. Ob die Pest in den medizinischen Papyri wirklich erwähnt wird ist strittig und bisher gelang auch kein paläopathologischer Nachweis des Erregers Yersinia pestis. Andere endemisch auftretende Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Malaria, Bilharziose oder Trachome (eine bakterielle Augenerkrankung) konnten allerdings sicher an Mumien nachgewiesen werden, und dürften im Klima Ägyptens nicht gerade selten gewesen sein.
Ein Begriff begegnet uns immer wieder, wenn wir uns mit dem Thema Seuchen befassen: Die „Seuche des Jahres“, jad.t-rnp.t. Dieser Ausdruck suggeriert, dass einmal im Jahr ein Zustand eintrat, in dem es dazu kommen konnte, dass Seuchen in Ägypten häufiger anzutreffen waren. Außerdem wird in diesem Kontext immer von einer bestimmten Göttin gesprochen, die zusammen mit ihren Dämonen für diese Seuche verantwortlich war: Sachmet, „die Mächtige“, die in Löwengestalt dargestellt wurde und Herrin über Krieg und Krankheit war. Sie konnte ihre Dämonen entsenden um die Menschen für Fehlverhalten zu bestrafen, allerdings wurde sie auch angebetet, um vor Krankheiten zu schützen. Wenn ihre Priester die richtigen Rituale und Gebete sprachen, konnte die wütende Löwin Sachmet wieder zu einem friedlichen Kätzchen, nämlich der Göttin Bastet, werden…
Während der Herrschaft Amenophis' III. wurden in seinem Totentempel wahrscheinlich nicht weniger als 365 (!) Sachmet-Statuen aufgestellt; es wird vermutet, dass zu dieser Zeit eine ganz besonders heftige Epidemie grassiert haben könnte, die den König hierzu veranlasste und es nötig machte, dass Sachmet ganz besonders besänftigt werden musste.
Verschiedene Sachmet-Statuen im Britischen Museum, London.
18. Dynastie, Herrschaft Amenophis' III.
Eigenes Foto, September 2018.
Wie müssen wir uns diese Seuche des Jahres vorstellen? Hier kommt nun das Thema „Überschwemmung“ ins Spiel: Ägyptens Landwirtschaft und Wohlstand waren über Jahrtausende hinweg davon abhängig, dass der Nil einmal im Jahr, etwa im Juni oder Juli unserer Zeitrechnung, über die Ufer trat und das ansonsten so wenig wasserreiche Land überschwemmte. Mit der Überschwemmung kam nährstoffreicher Nilschlamm auf die Felder und stellte eine natürliche Düngung dar. Die Nilflut war stets mit einem Fest verbunden und so bedeutend, dass die Alten Ägypter (und noch heute die Kopten) ihren Kalender damit verbanden: das Einsetzen der Nilflut markierte den Beginn des neuen Jahres.
Auf der anderen Seite war die Nilflut natürlich mit einem Problem verbunden: in der Hitze des Sommers sind überschwemmte Felder ein optimaler Nährboden für Krankheitserreger aller Art, vor allem, wenn das Gewässer „steht“ und nicht mehr fließt, bevor es im Boden endgültig versickern kann. Teile des Problems waren wohl auch Nagetiere wie Mäuse und Ratten, die entweder in der Flut ertranken und das Wasser verunreinigten, oder sich vor dem Wasser in menschliche Ansiedlungen flüchteten und dort Krankheiten verbreiten konnten. Die Seuche des Jahres bezeichnet nun genau diese problematische Zeitspanne, die kurz nach der Nilschwemme auftrat und etwa 60 Tage lang andauerte, Jahr für Jahr.
Wie versuchten sich die Ägypter nun davor zu schützen? Wie so häufig vor allem mit Magie: Neben Besänftigungsritualen für die Göttin Sachmet waren vor allem Amulette hilfreich, die mit bestimmten Schutzformeln beschrieben und als Halsketten verwendet wurden. Der Papyrus Leiden I 346 trägt hierzu folgendes bei:
Spruch zu sagen über einer Binde aus feinstem Leinen: Die Götter schrieben darauf und machten 12 Knoten hinein. Das Opfer für sie sollen Brot, Bier und Weihrauch auf dem Feuer sein. Sie (die Binde) werde gegeben einem Mann an seinen Hals, damit der Mann bewahrt wird vor der Seuche des Jahres.
Leider fehlen hier so wie auch in anderen Papyri, die die Seuche des Jahres behandeln, „echte“ medizinische Rezepturen. Lediglich die „Hausmittel“ des Papyrus Ebers könnten in diesen Zusammenhang passen: Rezeptur 840 beschreibt, dass mit Natronwasser Flöhe aus dem Haus beseitigt werden können, während die Rezeptur 847 empfiehlt, mit dem Fett eines Katers Mäuse zu vertreiben. Auch wenn keinerlei Bezug zu den anderen Textquellen besteht, wäre es in der Tat zu verlockend, hierin frühe Maßnahmen zur Seuchenprophylaxe zu sehen…
Literatur
- Wolfhart Westendorf, Seuchen im Alten Ägypten, in: Axel Karenberg, Christian Leitz (Hrsg.), Heilkunde und Hochkultur I, Berlin 2020.
- Christian Leitz, Tagewählerei, Wiesbaden 1994.
- Simon Connor, Le statue della dea Sekhmet, Turin 2017.
Titelbild
Nil in der Abenddämmerung in Luxor. Eigene Aufnahme, Oktober 2019.
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