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Sarah

Der perfekte Rausch

Dass die Ägypter den Sinnesfreuden nicht abgeneigt waren, haben wir an dieser Stelle schon gesehen, ebenso wie die Folgen von Alkoholintoxikation. Aber waren dies die einzigen Substanzen, die zur Veränderung des Bewusstseinszustandes gedient haben? Dass im Fall von Schlafmohn oder Opium die Datenlage ziemlich unklar bleibt, konnten wir ebenfalls schon feststellen. Anfang der 1990er Jahre wurde jedoch eine naturwissenschaftliche Untersuchung veröffentlicht, die dazu geeignet war, unser Verständnis der alten Ägypter grundlegend zu revolutionieren!


Eine Münchener Doktorandin untersuchte im Rahmen ihrer Dissertation die Reste ägyptischer Mumien, die in München aufbewahrt wurden. Es handelte sich dabei um insgesamt 9 Individuen, von 7 davon war jedoch leider nur noch der Kopf erhalten. Eine der Damen, die einzige vollständig erhaltene Mumie, ist sogar namentlich bekannt: Es handelt sich um Henuttaui, eine Priesterin, die etwa um 1000 v. Chr. lebte. Ziel der Arbeit war es, den Konsum von Rauschmitteln in verschiedenen Gesellschaften zu ermitteln.


Völlig überraschend stellte sich heraus, dass die Gewebeproben von 7 Mumien gleich drei psychoaktive Substanzen enthielten: Nikotin, Kokain und THC (für alle, die löblicherweise nicht in Rauschmitteln bewandert sind: THC ist die „wirksame“ Substanz aus Cannabis…). Bedeutet dieser Befund, dass die meisten Ägypter Polytoxikomanen waren, die ihr irdisches Dasein nur mit einer anständigen Dosis Rauschmittel ertragen konnten?


Zudem ergibt sich aus diesem Ergebnis noch ein ganz anderes Problem: Die Stammpflanzen von Nikotin und Kokain, nämlich Tabak (Nicotiana tabacum) und der Cocastrauch (diverse Erythroxylum species) sind ausschließlich in Südamerika heimisch und 1000 v. Chr. definitiv noch nicht in der „alten Welt“ belegt. Reflexartig bildeten sich zwei Lager: Die erste Gruppe an Wissenschaftlern bezweifelte die Seriosität dieser Analysen. Die Mumien seien gefälscht, die Ergebnisse ebenso, es sei schlampig gearbeitet worden und überhaupt könne das alles gar nicht sein. Die zweite Gruppe freute sich darüber, mit diesen Ergebnissen nun den Beleg dafür gefunden zu haben, dass zwischen den alten Ägyptern und den südamerikanischen Völkern bereits 2400 Jahre vor Kolumbus ein reger transatlantischer Handel stattgefunden hatte (was auch den Bau von Pyramiden in beiden Kulturen erklären soll…auch wenn die mexikanischen Pyramiden erst um 800 n. Chr. erbaut wurden, aber manchmal sind Fakten auch nur störende Details…).


Was macht man aber jetzt seriöserweise aus diesen Ergebnissen? Schauen wir uns die einzelnen Bestandteile zunächst genauer an:

Im Fall von THC oder Cannabis sativa muss man sich wahrscheinlich am wenigsten weit aus dem Fenster lehnen: Seit etwa 800 v. Chr. ist der Anbau von Cannabis in Anatolien archäobotanisch belegt; dabei ging es weniger um die berauschende Wirkung, sondern eher um die Verwendung als Pflanzenfaser, z.B. für Stoffe oder Seile. Bislang fehlt allerdings der Beleg, dass die Ägypter Hanf tatsächlich verwendet hätten, sei es als Faser oder als Rauschmittel. Die Zuordnung zu einem bestimmten ägyptischen Pflanzennamen (schemschemet) ist zu vage, um als gesichert zu gelten. Der THC-Befund konnte jedoch auch nicht an anderen ägyptischen Mumien reproduziert werden, was eine Verwendung als Rauschmittel recht unwahrscheinlich macht.


Der Gehalt an Nikotin kann auf verschiedene Arten relativ unproblematisch erklärt werden: Zunächst beschränkt sich Nikotin nicht auf Tabakpflanzen, sondern ist in einigen Pflanzen ebenso enthalten. Aus Ägypten definitiv bekannt ist die sogenannte Schlafbeere (Withania somnifera), bei der zwar unklar ist, ob sie als Arzneimittel verwendet wurde, auf jeden Fall aber wurden die hübschen roten Beeren in Mumiengirlanden verwendet, wie beispielsweise bei Tutanchamun. Für die Verwendung als Arzneimittel spricht, dass neben Nikotin auch teilweise die Substanz Cotinin gefunden wurde; diese ist ein Stoffwechselprodukt von Nikotin. Wie der Name schon sagt, wirkt die Schlafbeere schlaffördernd; einen ägyptischen Namen kennen wir dafür aber leider nicht.

Eine weitere Möglichkeit, wie Nikotin an Mumien kommt, ergibt sich aus seiner Verwendung als Insektizid: Viele Mumien wurden nach ihrer Wiederentdeckung im 19. Jahrhundert (n. Chr.) mit Insektiziden behandelt, damit sie nicht in den Museen buchstäblich „zerfressen“ wurden. Bewerkstelligt wurde das häufig mit einem Sud aus Tabakblättern. Eine Unart der Zeit war außerdem der intensive Zigarettenkonsum der Konservatoren und Museumsmitarbeiter; auch auf diesem Weg können Mumien „kontaminiert“ worden sein.


Für Kokain können wir ähnlich problemlos eine neuzeitliche Kontamination vermuten. Der gemessene Gehalt liegt deutlich unter dem Gehalt von peruanischen Mumien, für die der Kokain-Genuss belegt ist. Auch wenn es uns heute merkwürdig erscheint: Im 19. Jahrhundert war Kokain ein völlig legales Aufputschmittel (Sherlock Holmes lässt grüßen). Der Kenner vermutet auch hinter dem Markennamen einer (heute nur noch) koffeinhaltigen dunklen Limonade richtigerweise den Einsatz von Kokain; 1 Liter Erfrischungsgetränk enthielt bis 1906 etwa 250 mg aufputschender Substanz. In den Museen wurde zu jener Zeit nicht mit der gleichen Vorsicht gearbeitet wie es heute üblich ist: Eine Verunreinigung der Mumien ist um Längen wahrscheinlicher, als ein anderweitig nicht belegter transatlantischer Handel vor 3000 Jahren!

Insofern sagt die Anwesenheit von Nikotin und Kokain offenbar mehr über uns neuzeitliche Menschen aus…


Waren also die Ägypter am Ende gar nicht interessiert an bewusstseinsverändernden Rauschmitteln? Eine Pflanze bleibt uns, deren Gebrauch in Ägypten im Überfluss belegt ist: Der Blaue Lotus (Nymphaea cerulea). Kaum eine Grabausstattung kommt ohne Abbildung von Lotus aus, die Säulen ägyptischer Tempel zieren Lotusblüten, sogar die „Wappenpflanze“ Oberägyptens war der Lotus. Blauer Lotus enthält Stoffe, die durchaus psychoaktive Wirkungen entfalten können und es wurde vermutet, dass Wein bei Festgelagen mit Lotus angereichert worden sein könnte. Vielleicht stand auch nur der betörende Duft der Pflanze im Vordergrund? Wir dürfen auf jeden Fall davon ausgehen, dass der Spaß bei den Ägyptern nicht zu kurz gekommen ist!



Literatur

- S. Balabanova, F. Parsche, W. Pirsig, First Identification of Drugs in Egyptian Mummies, in: Naturwissenschaften 79 (1992), p.358.

- P.C. Buckland, E. Panagiotakopulu, Rameses II and the tobacco beetle, in: Antiquity 75 (2001): pp. 549-556.

- D.J. Counsell, Intoxicants in ancient Egypt? Opium, nymphaea, coca and tobacco., in: R. David (Hrsg.): Egyptian Mummies and modern Science (Cambridge 2008), pp.195-215.


Titelbild

Darstellung aus dem Grab des Sennefer, Bürgermeister von Theben, TT96,

aus: Sen-nefer. Die Grabkammer des Bürgermeisters von Theben. Ausstellung im Römisch-Germanischen Museum Köln, 1986.

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